„Wo Du stehst, hängt davon ab, wo Du sitzt“ heißt es bisweilen, um bestimmte Zustände in politischen oder geschäftlichen Verhandlungen zu beschreiben. Dass Bewertungen und Sichtweisen stark durch den jeweiligen Standpunkt und die daraus resultierende Perspektive beeinflusst werden, gilt ebenso für die Kommunikationssituation „Supervision & Coaching“, in der „verhandelt“ wird, was uns beruflich beschäftigt. Hier wie dort geht es um (divergierende) Ziele, um das Finden von (gemeinsamen) Positionen und um das Entwickeln von Konsens oder Kompromiss. Zuweilen beobachten wir Verhärtungen, Erstarrungen oder gar Lähmungen. Manchmal scheint gar strategisches „Aussitzen“ angesagt. Unser methodischer Beitrag für lösungsorientierte Veränderungen läuft vorerst also über das „Setting“. Das Prinzip heißt schlicht: „Aufstehen schafft Bewegungsfreiheit.“
Zum zweiten leben Supervision & Coaching wie jede Art der Beratung (auch in „systemisch“, „ganzheitlich“ und „integrativ“ geprägten Zeiten wie diesen) in der Praxis nach wie vor sehr stark vom gesprochenen Wort. Und das ist natürlich gut so. Wird doch berufliche Selbstreflexion und deren Nutzen wesentlich genährt von der Kommunikation unter allen Beteiligten. Das Verbalisieren von Wünschen, Zielen, Ideen, Befindlichkeiten, Haltungen und Meinungen schafft Bewusstsein, mehr Klarheit und – im besten Fall – neue Perspektiven. Allerdings gleicht das „zur-Sprache-bringen“ nicht selten einem Geburtsvorgang, für den Worte oft nicht ausreichend Unterstützung bieten. Körperorientierte „Anstöße“ bieten hier wirksame Hebammendienste. Antworten auf relevante Fragestellungen in der Teamzusammenarbeit gelangen damit leichter ans Licht und werden bearbeitbar. Das zweite zugrunde liegende Prinzip lautet daher etwas paradox: „Sich positionieren bringt das Gespräch in Gang.“
Kurz gesagt geht es bei der Methode der „Horizontaldiagnose“ in Anlehnung an systemische Aufstellungstechniken um ein körperliches „Stellung nehmen“ zu Fragen des Supervisors/Coaches und zwar gleichzeitig durch das gesamte Team. Daraus ergeben sich prägnante Bilder teaminterner Differenzierungen. Das schafft dem Berater ebenso wie den Teammitgliedern diagnostisches Reflexionsmaterial, das räumlich „horizontal“ zur Verfügung steht. Es zeigt sich, dass diese Form der ersten Stellungnahme vielfach als „Schuhlöffel“ für mehr Offenheit und Transparenz nützlich ist. Einsetzbar in nahezu allen Phasen der Beratung sind Mini-Aufstellungen dieser Art ein hervorragendes Mittel für die Darstellung komplexer oder sensibler Problemstellungen in Teams.
Den Anwendungsbeispielen seien drei Beratungssituationen aus der Praxis skizzenhaft vorangestellt. Als Illustration und weil ich sie für idealtypisch in der Teamsupervision halte:
Szene 1: Das altgediente BetreuerInnen-Team des Behinderten-Wohnhauses trifft sich häufig und gerne. Zum wöchentlichen Jour fixe, zu Beratungen mit KlientInnen und deren Angehörigen, zum kollegialen Pausenplauscherl und nicht zuletzt – etwa 6-wöchig- zur Supervision. Als Ort für alle Fälle steht – Raum ist Mangelware – die Wohnsitzecke des Hauses zur Verfügung. Da hat jeder schon seinen Stammplatz und man erzählt einander Freud & Leid des Arbeitsalltags, versunken im Gespräch und in der weichen Polsterlandschaft, nur die Leiterin ist seltsam unruhig, ansonsten nimmt alles seinen gewohnten Gang.
Szene 2: „Teamentwicklung“ in der Entwicklungsabteilung der EDV-Firma ist angesagt. Die Gruppe der jungen Techniker ist rapide gewachsen und arbeitet in unterschiedlicher Zusammensetzung an mehreren Projekten gleichzeitig. Es herrscht hoher Produktionsdruck. Gleichzeitig soll möglichst viel informiert und kommuniziert werden. Die letzte Mitarbeiterbefragung hat – für die Leitung ganz unerwartet – hohe Unzufriedenheit mit der Kooperationsqualität ergeben. Der Abteilungsleiter ruft ein „Projekt Teamentwicklung“ (vulgo „Supervision“) ins Leben. 20 hungrige Spezialisten wollen/sollen Teamplayer werden und das in möglichst kurzer Zeit. Das lässt wenig Spielraum für klassische Supervision.
Szene 3: Die Leiterin der Verwaltungsabteilung ist quer eingestiegen (die Politik wollte ein Signal setzen!). Früh zeigen sich Widerstände gegen die „Dynamik“ der neuen Leitung. Auch das kooperative Leitungs-Angebot der deklarierten „Nichtfachfrau“ wirkt irritierend auf ihr „Team“, das dem Ex-Leiter nachtrauert („der war noch eine Autorität!“). Im von ihr initiierten Teamsupervisions-Vorgespräch zeichnet die Leiterin ein bereits hochgradig entwickeltes „Kalter-Krieg“-Krisenszenario mit weitreichenden strategischen Überlegungen, wo u.a. von „Lagern“ und „Widerstandsnestern“ die Rede ist und die Frage brennt: Wer steht hinter wem? Und wie überleben alle Beteiligten die notwendigen Auseinandersetzungen?
Szenen der Zusammen-Arbeit, wie sie in Variationen nicht selten erfahrbar sind. Die Wirkungen auf individueller und teamklimatischer Ebene lassen sich folgendermassen beschreiben:
- di-stressige Spannungszustände (von „fad“ bis „überspannt“)
- Gefühle von „eingeschränkten Spielräumen“, die Stillstand verursachen
- Wenig Lust (bis viel Angst), die eigenen Einschätzungen und Befindlichkeiten zu veröffentlichen
- hoher Komplexitätsgrad der Situation, die sich „einfach nicht erklären lässt“
- diffuse Sichtverhältnisse mit starker Vernebelungsgefahr
Im Rahmen der Teamberatung beobachten wir dann die „Spiegelungen“ der Arbeits-Phänomene. So sind die Supervisionsprozesse in den skizzierten Problemszenarien häufig gekennzeichnet von einem „langsam sich steigernden Spannungsaufbau“, „Phasen des langen Schweigens“ oder im Gegenteil „wortreichen, aber belanglosen Analysen“ haarscharf an den relevanten Themen vorbei, dem Verirren auf Nebengeleisen, überraschenden Eruptionen und schließlich der Einsicht, „dass in der Supervision alles gleich abläuft wie sonst auch“.Supervision, wenn sie hier ausschließlich mit ihren klassischen Methoden „Befragung“ und „Reflexionsgespräch“ ansetzt, läuft Gefahr, viel Zeit mit versuchten oder verweigerten Verbalisierungen zu verbringen. Aber auch im Nicht-Konfliktfall ist die bemühte Einbeziehung aller Einzelpositionen nach dem Motto: „machen wir eine Runde zu…“ in Gruppen ab 6 Personen schon sehr zeitintensiv.
So weit so gut. Was kann also die „Horizontaldiagnose“ bewirken?
Die „Horizontaldiagnose“ hat – wie andere körperorientierte Beratungszugänge auch – zur Absicht, reflexive Vorgänge „auf die Beine“ zu stellen. Fragen werden „mit Kopf und Fuß“ oder noch besser „von Fuß bis Kopf“ beantwortet. Das „Sich-in-Bewegung-bringen“ lässt Haltungen bewußt(er)werden. Gleichzeitig werden die Positionen aller übrigen Teammitglieder auf einen Blick sichtbar. Das vermindert das Taktieren (ich warte einmal, wie die allgemeine Meinung ist…) erfahrungsgemäß deutlich. Die räumlichen Abstände der Positionen spiegeln die Skalen der individuellen Einschätzungen körperlich erfahrbar wider, das bringt Gespräche in Fluss.
Variante 1: Das freie Gruppieren
Geeignet insbesondere für Erstdiagnosen, um die wechselseitigen Bezüge und Verschränkungen innerhalb von Teams sichtbar zu machen. Die Subsysteme, oft nur vage bewusst, werden dargestellt
anhand verschiedener Ordnungskriterien:
- Wer gehört zu welchem Arbeitsbereich? Gibt`s dafür eine
- Bezeichnung? (Funktionsgruppen)
- Welche Berufsgruppen finden sich hier wieder? (Sozialstrukturierender Faktor „Beruf“)
- Wer arbeitet mit wem am meisten zusammen? (Kooperationsstrukturen)
- Wer steht mit wem auf derselben Hierarchiestufe? (Organigramm)
- Wie ist das zahlenmäßige Verhältnis Männer : Frauen? (Geschlechtsgruppen)
- Welche Gemeinsamkeiten/Unterschiede können wir noch darstellen? (Gruppenspezifische Differenzierungen, von denen ich als Supervisor/Coach noch nichts weiss…)
Ablauf: Die Gruppen finden sich zusammen, gegebenenfalls benennen sie ihre Gemeinsamkeit. Zusatzimpulse (Fragen) können zu kurzen subgruppeninternen Reflexionen genützt werden. Oft reicht die Positionierung schon für AHA-Erfahrungen, auf die im weiteren Beratungsverlauf Bezug genommen wird, etwa: „..wir sind berufsgruppenmäßig alle einzeln gestanden, aber in der Funktionsverteilung alle zusammen, das bedeutet für mich…“ oder „…die einseitige Geschlechterverteilung in unserem Team hat mir deutlich gezeigt…“.
Variante 2: „Multiple choice“
Eignet sich für die Darstellung von Haltungen, Einschätzungen, Befindlichkeiten. Für die jeweiligen Fragen sind 4 pointierte Antwortmöglichkeiten vorgegeben (Antwortkarten, Bilder o.ä.) Die Antwort erfolgt durch „multiple choice per pedes“, die SupervisandInnen/Coachees positionieren sich also zur passenden Antwort.
Ein paar Beispiele:
„Welches Gesicht passt zur derzeitigen Arbeitsmotivation?“ (4 Gesichter von „Lustig“ bis „Frustig“)
„Wie schätzen Sie die Verkehrssituation in Ihrer Arbeit dzt. ein?“ (Bilder für „Freie Fahrt auf der Autobahn“, „steinige Landstraße“, „Stau“, „Fußgänger-Zone“)
„Wie ist die Klima-Situation?“ (Tropisch, mediterran, alpin, polar)
„Welcher Gebäude-Metafer entspricht dem Bild von Ihrer Institution/Firma?“ („Fabrik“, „Reihenhaussiedlung“, „Bauernhof“, „Dorfkirche“)
Wer eindeutige Stellungnahmen fördern will, verzichtet auf Zwischenpositionen („Wenn Sie sich zwischen den favorisierten Antworten entscheiden müssten, wo würden Sie hingehen?“).
Variante 3: „Spannungsbögen“
Spannungsbögen sind horizontale Skalen, die einen Bogen zwischen Gegenpolen schlagen (Hoch-niedrig, kalt-warm) oder Quantitäten bezeichnen (0-100%, Grad,…) Das ganze Spektrum zwischen den Polen kann besetzt werden und gibt in einem Bild die Teameinschätzung wider. Anders als beim vergleichbaren Punkten auf einem Plakat steht jede Person für ihre Einschätzung ein – Gemeinsamkeiten und Widersprüche werden unmittelbar spürbar.
Beispiele für Spannungsbögen:
Wo befindet sich der individuelle Energie-Level? (Halbkreis von grün = voll über gelb = halb bis rot = leer)
Wie viel der möglichen Leistungsfähigkeit erreicht das Team (die Organisation) derzeit? (Halbkreis von 100% bis 0%)
Wo zwischen zwei Entscheidungsvarianten stehen Sie? oder
Wie stehen Sie zu einem Vorschlag? (etwa zwischen „Pro“ und „Kontra“)
Bewährt hat sich das Markieren des Spannungsbogen mittels einer Schnur oder eines Seiles (ich verwende der Einfachheit halber mein Autoabschleppseil); das unterstützt die Orientierung und schafft gleichzeitig einen kommunikationsförderlichen Halbkreis – niemand steht gerne im Rücken anderer.
Für alle Varianten empfiehlt sich folgender Ablauf:
- Stellen einer (relevanten) Frage ans Team
- Individuelle Positionierung (nonverbal)
- Kurzer Erfahrungsaustausch in der einschätzungshomogenen Gruppe oder den Positionsnachbarn
- Die Frage: „Woran wollen/sollen wir gemeinsam weiterarbeiten?“
Letzteres kann man schon wieder in der klassischen Sitzrunde vertiefen, schließlich wollen wir das Stehmögen nicht über Gebühr ( 15 bis max 20 Minuten) belasten. Im übrigen: die Abwechslung erfreut!
Und welch zauberhafte Wirkungen haben nun die horizontaldiagnostischen Bemühungen in den eingangs zitierten Szenen ausgelöst?
Na ja, unterschiedliche natürlich. Konkret bewirkt im ersten Beispiel (Wohnzimmer-Supervision) schon der für die Durchführung der platzgreifenden Methode erforderliche Ortswechsel in den „Bewegungsraum“ einiges an Irritation. Die traditionelle Kommunikationskultur wird hinterfragt, manche Erstarrungen sicht- und besprechbar. Die Leitung erkennt, dass es mit seinem Bedürfnis nach rascher Veränderung allein da steht. Das Team entscheidet sich letztendlich für die Sicherheit der Kontinuität… auf der Wohnzimmercouch.
Das EDV-Hochleitungs-Team unterscheidet durch die „per-pedes“-Funktions-Differenzierung „logische“ von „bürokratischer“ Zusammenarbeit und kann sich nun auf die wichtigen Kooperationssettings beschränken. Die Kommunikation wird nicht vermindert, passiert aber angemesserer. Als permanente und informelle Plattform wird ein zentrales Stehcafe installiert.
In Szene 3 stellen sich durch das sich – positionieren sehr klar und für alle sichtbar die klimatischen Bruchlinien innerhalb des Teams dar. Gleichzeitig werden die bisher unausgesprochenen Gefühle der Missachtung, des Vertrauensverlustes und der Frustration erstmals besprechbar. Auf der funktionalen Ebene wird die Zersplitterung der Aufgaben offenkundig. Die Frage, an der wir (im klassischen Beratungsgespräch) weiterarbeiten, ist: „Wer braucht hier was von wem?“
Zusammengefasst nun die bisherigen Erfahrungen und einige organisatorische Hinweise.
Vorteile:
- zeitsparend, insbesondere in größeren Gruppen
- klare Positionierungen werden gefördert
- die ganze Person steht für ihre Position (nicht nur ein Klebepunkt o.ä.)
- Transparenz des „wer steht wo(für)?“
- Kommunikation wird über die nonverbale Darstellung leichter in Gang gesetzt
- sich – mitteilen ist auch sprachlos möglich
- die Darstellung bringt in Bewegung
Voraussetzungen:
- ausreichend Raum erforderlich
- die Kommunikation – visuell und verbal – muss aufrechterhalten bleiben
- zeitliche Begrenzungen (max 15min/ Positionierung)
- ein realistisches Antwort-Spektrum wird vorüberlegt
- bei ausreichend Erfahrung der Beteiligten können die Fragen wie auch die Antwort-Spektren auch vor Ort spontan festgelegt werden
- Marken, Bojen als Orientierungspunkte für Positionierungen aus (Moderations-)kärtchen, Bildern oder Symbol-Objekten
- Ein Minimum an Bewegungslust
So, genug der Worte. Wenn Sie das Instrument der Horizontaldiagnose in Ihr Interventionsrepertoire integrieren wollen, wissen Sie, dass für alle methodischen Erkenntnisse gilt: Ausprobieren macht klug. Schließlich soll es Ihnen nicht wie dem polnischen Dichter Stanislaw Lec ergehen, der von sich behauptet hat: “Ich hätte viele Dinge begriffen, hätte man sie mir nicht erklärt.”